Es mutet frühlingshaft draußen an, die eisigen Temperaturen haben sich in der warmen Sonne längst aufgelöst. Die Vögel stimmen ihre ersten Balzlieder an und nur noch in den schattigsten Ecken des Waldes gibt es letzte Schneeinseln. Während die Natur sich auf die Rückkehr der Lebendigkeit, auf das Wachsen und Werden langsam einstimmt, verharrt Deutschland weiterhin in einer Angststarre. Es zeigt sich erneut, dass die Kombination aus Angst und Macht nichts Gutes hervorbringen kann. Politiker die Angst schüren, Medien, die diese Angst aufgrund guter Einschaltquoten weiter verbreiten. Also eigentlich alles genauso wie vor einem Jahr zu Beginn der Pandemie. Nur mittlerweile ist die sinnvolle anfängliche Vorsicht einem alles erdrückenden Kontrollzwang gewichen, der verdeutlicht, dass Zahlen und Statistiken keine guten Entscheidungshilfen in komplexen und dynamischen Situationen sind. Also verstecken sich die Politiker hinter den Zahlen der Virologen, die ganz wissenschaftlich natürlich noch mehr Zahlen und Daten sammeln müssen, um genauer sagen zu können, was das denn alles bedeutet und was nun zu tun sei. Bis dahin am Besten alles abschließen und den Schlüssel wegwerfen. Was, wenn die Rechnung zu groß, zu vielschichtig und dadurch nicht mehr abwägbar wird? Wer will entscheiden, ob wir lieber noch Monate im Lockdown verharren und dadurch tausende Existenzen wirtschaftlich ruinieren, massive Bildungslücken bei Schülern und Studenten hinnehmen, unzählige unterlassene notwendige Arztbesuche in Kauf nehmen, einen gravierenden Anstieg an psychologischen Krankheiten einfach tolerieren und gerade ältere Menschen weiterhin der völligen Vereinsamung preisgeben oder die Kontaktsperren langsam aufheben und dadurch riskieren, dass noch mehr, gerade ältere Menschen am Virus schwer erkranken bzw. sterben?

Ja, Menschen sterben oder besser: Menschen sind sterblich. Jeder Mensch stirbt. In 150 Jahren wird keiner der augenblicklich lebenden Menschen mehr existieren. Die menschliche Sterblichkeit, der Umgang mit dem Tod, das ist eine der größten Herausforderungen mit denen der moderne Mensch hadert. Der Tod ist wie ein Makel, ein Fehler, der gerne im Konsumrausch, im fortschreitenden Jugendwahn und im Ausschöpfen aller erdenklichen medizinischen Optionen ertränkt wird.

Ein Gedicht meines Lieblingslyrikers Dylan Thomas beginnt mit: „And death shall have no dominion…“ Frei übersetzt heißt es: „Und der Tod soll keine Macht haben…“.  Wie aber sich aus der furchterregenden Umklammerung der eigenen Sterblichkeit lösen? Zählt also jedes Lebensjahr, weil ein längeres Leben automatisch ein erfüllteres ist? Sollten wir alles daran setzen unsere Computertechnik etc. so zu verbessern, dass wir am Ende als Mensch-Maschine Unsterblichkeit erlangen? Sollten wir so viel wie möglich erleben, also reisen, lernen, lieben, tanzen, singen, feiern und genießen? Das Lebensglück als Summe des Machbaren?

Das Leben in tiefer Achtsamkeit zu genießen, es auszukosten, ist sicher eine gute Haltung, dann aber um seiner selbst willen, ohne permanent mit angstvollem Blick auf das Unausweichliche zu schielen oder gar mit dem Tod in eine Art Wettbewerb treten zu wollen. Lebensqualität und Lebendigkeit sind keine Hochrechnungen von irgendwas. Sie lassen sich nicht in Zahlen ausdrücken. Lebendigkeit erwächst aus dem Augenblick, aus der Art wie wir einen Moment wahrnehmen, ihn erleben. In dieser völlig gegenwärtigen Haltung, in der unvermittelten Hinwendung zum Gegebenen wird auch die Fülle und die eigene, bloße Lebenskraft spürbar. Zur sozialen Vielfalt gehören Geselligkeit, Kreativität in Form von schönen Künsten, gemeinsames Beisammen sein, Essen und Feiern einfach dazu. Eine permanente Beschränkung dieser sozial so kostbaren und wohltuenden Aspekte ist unmenschlich und schlicht lebensfremd. Gerade im Frühling, wenn die Natur aufbegehrt, wenn auf eine eher abweisende starre Kaltzeit, die Wärme, das Grün, das Vogelzwitschern wieder so selbstverständlich zurückkehren als wären sie nie weg gewesen, gerade dann blüht auch die eigene Lebenslust wieder auf. Also ja, einfach den Fernseher ausschalten, keinen Newsticker mehr lesen und die Politiker samt Medien in ihrem selbstgewählten Elend verharren lassen. Statt dessen lieber dem Ruf der Natur folgend, sich hinaus in die Sonne auf den Balkon oder in den Park setzen, mit einer Tasse Tee und einem guten Buch, zum Beispiel von Joanna Macy: Hoffnung durch Handeln – Dem Chaos standhalten, ohne verrückt zu werden. Oder einfach nur Freunde zu einer Radtour treffen, den Vögeln und dem Wind lauschen, der Sonne zulächeln und so das Herz weit für die wunderbare Fülle, der uns stetig umgebenden Natur öffnen.